DIE SPRACHE DES KÖRPERS VERSTEHEN: UMGANG MIT SOMATOFORMEN STÖRUNGEN

Die „Sprache des Körpers“ kann oft genauso wichtig sein wie das, was wir sagen. Doch was passiert, wenn der Körper beginnt auf eine Weise zu kommunizieren, die für den Betroffenen selbst und für andere schwer zu verstehen ist? Somatoforme Störungen sind ein solches Phänomen, das durch körperliche Beschwerden gekennzeichnet ist, für die keine ausreichende medizinische Ursache gefunden werden kann.

Was sind somatoforme Störungen?

Somatoforme Störungen sind eine Gruppe von psychischen Erkrankungen, bei denen Betroffene Symptome erleben, für die keine eindeutige organische Ursache gefunden werden kann. Stattdessen wird angenommen, dass psychologische oder emotionale Faktoren eine Rolle bei ihrer Entstehung spielen. Beschwerden können chronisch oder episodisch auftreten und beeinträchtigen das tägliche Leben der Betroffenen erheblich. Oft haben Betroffene durch sie Schwierigkeiten ihren Alltag zu bewältigen, soziale Beziehungen aufrechtzuerhalten oder ihre beruflichen Verpflichtungen zu erfüllen.

Prävalenz

Die Prävalenz somatoformer Störungen variiert je nach Studie und Definition, liegt aber Schätzungen zufolge zwischen 5% und 7% in der Bevölkerung. Frauen sind häufiger betroffen als Männer und die Erkrankung kann in jedem Lebensalter auftreten, wobei sie oft in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter beginnt.

Symptome

Die Merkmale somatoformer Störungen sind vielfältig und variieren je nach Art des Krankheitsbildes:

  • Schmerzen (z.B. Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen)
  • gastrointestinale Probleme (z.B. Übelkeit, Erbrechen, Durchfall)
  • Herz-Kreislauf-Symptome (z.B. Herzrasen, Brustschmerzen)
  • neurologische Symptome (z.B. Taubheitsgefühle, Lähmungen, Anfälle)
  • weitere körperliche Beschwerden, wie Schwindel oder Atembeschwerden

Personen mit somatoformen Störungen können zudem übermässig besorgt über ihre Gesundheit sein und häufig medizinische Untersuchungen oder Behandlungen in Anspruch nehmen, um ihre körperlichen Beschwerden abklären zu lassen.

Verschiedene Facetten

Die somatoformen Störungen werden in verschiedene Untergruppen unterteilt:

Somatoforme autonome Funktionsstörung: Hierbei handelt es sich um die häufigste somatoforme Störung. Es treten körperliche Beschwerden in einem spezifischen Organ auf, welches nicht unter willentlicher Steuerung steht. Beispiele für dieses Störungsbild sind das Reizdarmsyndrom, die Reizblase oder funktionelle Hyperventilation.

Somatisierungsstörung: Die Störung umfasst oft wechselnde physische Beschwerden. Da jedes Organ betroffen sein kann, ist es für Ärzte häufig schwer auf Anhieb zu wissen, ob es sich um eine körperliche oder psychische Ursache handelt.

Anhaltende somatoforme Schmerzstörung: Hierbei leiden Betroffene unter Schmerzen, die wechselnd lokalisiert sind. In der Regel verschaffen die üblichen Schmerzmittel keine Besserung, weswegen des Öfteren im Verlauf der Erkrankung eine komorbide Depression entsteht.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Untergruppen nicht immer streng voneinander abgegrenzt sind und  dass in neuen Fassungen diagnostischer Manuale die verschiedenen somatoformen Störungen unter „somatische Belastungsstörungen“ zusammengefasst werden.

Die Puzzlestücke der Entstehung

Die genauen Ursachen für somatoforme Störungen sind nicht vollständig verstanden, da sie oft multifaktoriell sind. Es folgen einige der wichtigsten Faktoren, die zur Entstehung somatoformer Störungen beitragen können:

Biologische Faktoren: Es gibt Hinweise darauf, dass genetische Veranlagungen eine Rolle spielen können, da somatoforme Störungen in einigen Familien gehäuft auftreten. Auch neurobiologische Untersuchungen deuten darauf hin, dass Veränderungen im Gehirn, insbesondere im Bereich der Schmerzverarbeitung und der Wahrnehmung, von Bedeutung sein können.

Psychologische Faktoren: Mentale Belastungen, wie chronischer Stress, Traumata, Angststörungen oder Depressionen können das Risiko für somatoforme Störungen ebenfalls erhöhen. Betroffene neigen dazu bestimmte Persönlichkeitsmerkmale aufzuweisen, wie zum Beispiel hohe Angst- oder Neurotizismuswerte. Auch eine erhöhte Aufmerksamkeit auf körperliche Symptome, eine Neigung zur Katastrophisierung von Beschwerden oder ein übermässiges Sicherheitsverhalten im Umgang mit Gesundheitssorgen, können zur Entwicklung und Aufrechterhaltung somatoformer Störungen beitragen.

Soziale Faktoren: Belastende Lebensereignisse, wie beispielsweise familiäre Konflikte, berufliche Schwierigkeiten oder soziale Isolation, können darüber hinaus das Risiko für somatoforme Störungen erhöhen oder das Ausmass der Symptome verstärken.

Kulturelle Faktoren: Als letztes können auch kulturelle Überzeugungen und Normen bezüglich Gesundheit und Krankheit von Bedeutung sein. In einigen Kulturen werden körperliche Symptome als akzeptabler Ausdruck von psychischem Leiden betrachtet, was die Entwicklung somatoformer Störungen begünstigen kann.

Schlussendlich sind somatoforme Störungen meistens das Ergebnis einer komplexen Wechselwirkung zwischen diesen verschiedenen Faktoren und es ist keine einzelne Ursache allein für ihr Auftreten verantwortlich. Eine umfassende Diagnostik und Behandlung, die diese verschiedenen Aspekte berücksichtigt, ist daher entscheidend für die erfolgreiche Bewältigung somatoformer Störungen.

Von Therapie bis Selbstfürsorge: Die vielfältigen Ansätze zur Behandlung somatoformer Störungen

Die Behandlung somatoformer Störungen umfasst in der Regel eine Kombination aus den nachfolgenden Massnahmen:

Psychotherapie: Die kognitive Verhaltenstherapie ist eine der wirksamsten psychotherapeutischen Ansätze zur Behandlung somatoformer Störungen. Sie zielt darauf ab negative Denkmuster und Verhaltensweisen zu identifizieren und zu ändern, die zur Aufrechterhaltung der körperlichen Symptome beitragen. Ein weiterer Ansatz ist die Interpersonelle Therapie, die sich auf die Verbesserung zwischenmenschlicher Beziehungen und sozialer Unterstützung konzentriert.

Medikamentöse Therapie: In einigen Fällen können Medikamente, wie Antidepressiva oder Anxiolytika, verschrieben werden, um begleitende psychische Symptome wie Depressionen, Angstzustände oder Schlafstörungen zu behandeln.

Stressmanagement und Entspannungstechniken: Das Erlernen von Stressbewältigungsstrategien und Entspannungstechniken, wie Meditation, progressiver Muskelentspannung oder Atemübungen, kann dazu beitragen die körperliche Relaxation zu fördern und damit das Beschwerdebild zu reduzieren.

Patientenaufklärung und Selbstmanagement: Die Gabe von Informationen über somatoforme Störungen und die Vermittlung von Selbstmanagementtechniken sind wichtige Bestandteile der Behandlung. Dies kann helfen den Betroffenen ein besseres Verständnis für ihre Erkrankung zu vermitteln und sie zu befähigen aktiv an ihrer Genesung mitzuwirken.

Unterstützende Therapien: Ergänzende Behandlungen, beispielsweise Physiotherapie, Ergotherapie oder alternative Behandlungsmethoden, wie Akupunktur oder Massagetherapie, können ebenfalls zur Linderung von körperlichen Beschwerden beitragen und das Wohlbefinden der Betroffenen verbessern.

Langfristige Betreuung und Rückfallprävention: Die längerfristige Betreuung und Überwachung von Patienten mit somatoformen Störungen ist wichtig um Rückfälle zu verhindern und sicherzustellen, dass die erreichten Fortschritte bestehen bleiben. Die Aufrechterhaltung eines unterstützenden sozialen Netzwerks kann ebenfalls dazu beitragen die Genesung zu fördern.

Die Behandlung somatoformer Störungen erfordert insgesamt eine individuelle und multidisziplinäre Herangehensweise, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen jedes einzelnen Patienten zugeschnitten ist.

Empathie und Unterstützung: Ein Leitfaden für Freunde und Angehörige

Für Menschen mit somatoformen Störungen kann der Umgang mit ihren Symptomen und die Suche nach angemessener Hilfe oft frustrierend und belastend sein. Freunde und Angehörige spielen dabei eine wichtige Rolle!

Menschen mit somatoformen Störungen fühlen sich oft isoliert und unverstanden. Indem man ihnen zuhört und Verständnis für ihre Erfahrungen zeigt, kann ihnen das Gefühl geben werden, dass sie nicht allein sind.

Freunde und Angehörige können auch dazu ermutigen professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen und die Betroffenen bei der Suche nach geeigneten Behandlungsmöglichkeiten unterstützen. Manchmal kann es für die Erkrankten schwierig sein alleine zum Arzt zu gehen. In dem Fall kann angeboten werden sie zu Terminen begleiten und sie zu unterstützen ihre Bedenken und Fragen zu äussern.

Ausserdem ist eine stabile und unterstützende Umgebung hilfreich, um den Stress für den Betroffenen zu reduzieren. Freunde und Familie können dazu beitragen, indem sie eine ruhige und unterstützende Atmosphäre schaffen.

Auch Selbstfürsorge ist enorm wichtig für Menschen mit somatoformen Störungen. Angehörige können dazu ermutigen gesunde Bewältigungsstrategien zu entwickeln, wie zum Beispiel regelmässige Bewegung, ausreichend Schlaf oder eine ausgewogene Ernährung.

Geduld und Verständnis sind zuletzt massgeblich entscheidend. Im Heilungsprozess kann es Zeit brauchen, bis sich Verbesserungen zeigen. Es ist wichtig nachsichtig zu bleiben und der betroffenen Person das Gefühl zu geben an ihrer Seite zu stehen, egal wie lange es dauert.

Quellenangaben
  • Morschitzky, H. (2013). Somatoforme Störungen: Diagnostik, Konzepte und Therapie bei Körpersymptomen ohne Organbefund. Springer Vienna, Wien.
  • Rauh, E. & Rief, W. (2006). Ratgeber somatoforme Beschwerden und Krankheitsängste. Informationen für Betroffene und Angehörige. Hogrefe, Göttingen.
  • Toussaint, A. & Herzog, A. (2020). Einführung somatoforme Störungen, somatische Belastungsstörungen. Ernst Reinhardt Verlag, München.
Dr. med. Marc Risch
Chefarzt und Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. Marc Risch
Das CLINICUM ALPINUM ist spezialisiert auf die Behandlung von Depressionen und affektiven Erkrankungen. Mit unserem Blog möchten wir über psychische Erkrankungen aufklären, über die Klinik und die Therapien informieren und einen Beitrag zur Entstigmatisierung leisten.

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