LONG-COVID UND PSYCHISCHE STÖRUNGEN: ZUSAMMENHÄNGE UND THERAPIEANSÄTZE

Was ist Long-Covid?

Long-Covid, auch als Post-Covid-Syndrom bezeichnet, beschreibt eine Vielzahl von Symptomen, die bei manchen Menschen Wochen oder Monate nach der akuten Phase einer COVID-19-Infektion anhalten. Diese Symptome können sowohl körperlicher als auch psychischer Natur sein und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen.

Wichtig: Weltweit leiden rund zehn Prozent aller mit Corona infizierten Personen unter Long-Covid. Da Long-Covid ein relativ neues Phänomen ist, gibt es noch keine spezifische Heilung oder standardisierte Behandlung.

Definition und Diagnose

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Long-Covid als eine Erkrankung, die bei Personen auftritt, die eine wahrscheinliche oder bestätigte Infektion mit SARS-CoV-2 hatten, meist drei Monate nach Beginn der COVID-19-Erkrankung, wobei die Symptome mindestens zwei Monate andauern und nicht durch andere Diagnosen erklärt werden können.

Häufige Symptome

Die Symptome von Long-Covid sind vielfältig und können von Person zu Person stark variieren. Zu den häufigsten Beschwerden gehören:

  • Müdigkeit und Erschöpfung, selbst nach ausreichendem Schlaf und Ruhe
  • Atembeschwerden
  • Kognitive Beeinträchtigungen
  • Muskelschmerzen und Gelenkschmerzen
  • Brustschmerzen
  • Herzklopfen
  • Kopfschmerzen
  • Geruchs- und Geschmacksverlust
  • Magen-Darm-Beschwerden

Ursachen und Risikofaktoren

Die genauen Ursachen von Long-Covid sind noch nicht vollständig verstanden. Es wird jedoch angenommen, dass eine Kombination aus anhaltender Viruspräsenz, überschiessender Immunreaktion und Schäden an verschiedenen Organsystemen eine Rolle spielen kann. Risikofaktoren für die Entwicklung von Long-Covid können sein:

  • Schwere des Krankheitsverlaufs: Personen, die einen langwierigen Verlauf erlebt haben oder intensivmedizinische Behandlung benötigten, haben ein höheres Risiko.
  • Vorbestehende gesundheitliche Probleme: Personen mit Vorerkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Lungenerkrankungen.
  • Alter und Geschlecht: Ältere Menschen und Frauen scheinen häufiger betroffen zu sein.

Von der Infektion zur psychischen Krise: Long-Covid und seine seelischen Folgen

Die COVID-19-Pandemie hat nicht nur unser körperliches Wohlbefinden auf die Probe gestellt, sondern auch unsere psychische Gesundheit stark beeinträchtigt. Viele Betroffene von Long-Covid berichten über erhebliche psychische Belastungen, die ihre Lebensqualität stark einschränken. Zu den häufigsten psychischen Folgen gehören:

Angstzustände und Depressionen

Die anhaltende Ungewissheit über den Gesundheitszustand und die Dauer der Symptome führen bei vielen Betroffenen zu erheblichen Angstzuständen. Diese äussern sich durch Symptome wie übermässige Sorge, Herzklopfen, Zittern, Atemnot und Schweissausbrüche. Depressionen sind ebenfalls weit verbreitet, da die Fähigkeit den Alltag zu bewältigen stark eingeschränkt ist. Sie sind gekennzeichnet durch anhaltende Traurigkeit, Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, Verlust des Interesses an Aktivitäten und Gefühle der Wertlosigkeit.

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

Personen, die während ihrer akuten COVID-19-Infektion intensivmedizinisch behandelt wurden oder traumatische Erfahrungen gemacht haben, sind besonders anfällig für PTBS. Symptome können Flashbacks, Albträume und anhaltende Angstzustände umfassen.

Kognitive Beeinträchtigungen

Viele Long-Covid-Patienten klagen über „Brain Fog“, ein Zustand, der durch Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächtnisprobleme und ein Gefühl der Verwirrung gekennzeichnet ist. Diese kognitiven Probleme können den Alltag und die berufliche Leistungsfähigkeit stark beeinträchtigen.

Schlafstörungen

Schlafstörungen sind ebenfalls ein häufiges Symptom bei Long COVID. Diese können sowohl durch körperliche Beschwerden als auch durch Stress und Angst verursacht werden. Chronische Schlafprobleme können wiederum die psychische Gesundheit weiter belasten und zu einer Verschlechterung von Angst und Depression führen.

Soziale Isolation und Einsamkeit

Die körperlichen Einschränkungen und die Notwendigkeit soziale Kontakte zu reduzieren, führen bei vielen Betroffenen zu Einsamkeit und sozialer Isolation. Dies kann die psychischen Belastungen ebenfalls weiter verschärfen.

 

Bewältigungsstrategien und Unterstützung

Die psychischen Folgen von Long-Covid können ebenso belastend sein wie die körperlichen Symptome. Um die Lebensqualität zu verbessern und die psychische Gesundheit zu stärken, gibt es verschiedene Bewältigungsstrategien und Unterstützungsmöglichkeiten. Es folgen einige Ansätze, die Betroffenen helfen können ihre seelischen Belastungen zu bewältigen:

Professionelle Unterstützung

  • Psychotherapie
    • Kognitive Verhaltenstherapie (KVT): Diese Therapieform kann helfen, negative Denkmuster zu erkennen und zu verändern. Sie ist besonders wirksam bei Angstzuständen und Depressionen.
    • Traumatherapie: Für Menschen mit PTBS kann eine spezialisierte Traumatherapie, wie die EMDR-Therapie (Eye Movement Desensitization and Reprocessing), hilfreich sein.
  • Medikamentöse Behandlung
    • In einigen Fällen können Medikamente wie Antidepressiva oder Angstlöser zur Linderung der Symptome beitragen. Diese sollten jedoch immer in Absprache mit einem Arzt eingenommen werden.
  • Spezialisierte Long-Covid-Kliniken
    • Einige Kliniken bieten spezialisierte Programme für Long-Covid-Betroffene an, die sowohl körperliche als auch psychische Aspekte abdecken.

Selbsthilfe und Alltagsstrategien

  • Stressmanagement
    • Achtsamkeit und Meditation: Regelmässige Achtsamkeitsübungen und Meditation können helfen, den Geist zu beruhigen und Stress abzubauen.
    • Yoga und Atemübungen: Diese Praktiken fördern Entspannung und helfen, die Körper-Geist-Verbindung zu stärken.
  • Gesunde Lebensgewohnheiten
    • Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung kann die allgemeine Gesundheit fördern und das Wohlbefinden steigern.
    • Schlafhygiene: Geregelte Schlafzeiten und eine ruhige Schlafumgebung unterstützen einen erholsamen Schlaf.
    • Bewegung: Moderate körperliche Aktivität, angepasst an die individuellen Möglichkeiten, kann stimmungsaufhellend wirken und die körperliche Fitness verbessern.
  • Tagesstruktur und Routinen
    • Ein strukturierter Tagesablauf mit festen Zeiten für Aktivitäten und Ruhepausen kann helfen den Alltag besser zu bewältigen und ein Gefühl der Normalität zu fördern.

Soziale Unterstützung

  • Selbsthilfegruppen
    • Der Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen kann sehr unterstützend sein. Diese Gruppen bieten die Möglichkeit Erfahrungen zu teilen, sich gegenseitig zu ermutigen und praktische Tipps zu erhalten.
  • Unterstützung durch Familie und Freunde
    • Ein offenes Gespräch mit Familie und Freunden über die eigenen Bedürfnisse und Grenzen kann dazu beitragen Verständnis und Unterstützung zu erhalten. Soziale Kontakte und emotionale Unterstützung sind wichtige Faktoren für die psychische Gesundheit.
  • Online-Communities
    • Online-Foren und soziale Medien bieten Plattformen für den Austausch mit anderen Betroffenen, auch wenn physische Treffen nicht möglich sind.

Bildung und Selbsthilfe

  • Information und Aufklärung
    • Sich über Long-Covid und seine psychischen Auswirkungen zu informieren, kann helfen die eigenen Symptome besser zu verstehen und gezielt nach Unterstützung zu suchen.
  • Selbsthilfebücher und Ressourcen
    • Es gibt zahlreiche Bücher und Online-Ressourcen, die Strategien zur Bewältigung von Angstzuständen, Depressionen und anderen psychischen Belastungen anbieten.

Praktische Tipps für den Alltag

  • Setzen von realistischen Zielen
    • Kleine, erreichbare Ziele können helfen Fortschritte zu sehen und ein Gefühl der Erfüllung zu erleben.
  • Pausen und Erholung
    • Regelmässige Pausen und Erholungsphasen sind wichtig, um Überlastung zu vermeiden und die Erschöpfung zu reduzieren.
  • Tagebuch führen
    • Ein Tagebuch kann helfen Gedanken und Gefühle zu ordnen, Muster zu erkennen und Fortschritte zu dokumentieren.
Quellenangaben
  • Davis, H. E., McCorkell, L., Vogel, J. M. & Topol, E. J. (2023). Long COVID: major findings, mechanisms and recommendations. Nature Reviews Microbiology, 21, 133–146. https://doi.org/10.1038/s41579-022-00846-2
  • Grobholz, K. (2023). Long-Covid-/Post-Covid-Syndrom aus psychiatrischer Sicht. Springer, Berlin.
  • Zettl, U. K. & Sieb, J. P. (2024). Diagnostik und Therapie neurologischer Erkrankungen. Elsevier, München.
Dr. med. Marc Risch
Chefarzt und Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. Marc Risch
Das CLINICUM ALPINUM ist spezialisiert auf die Behandlung von Depressionen und affektiven Erkrankungen. Mit unserem Blog möchten wir über psychische Erkrankungen aufklären, über die Klinik und die Therapien informieren und einen Beitrag zur Entstigmatisierung leisten.

Diesen Beitrag teilen