ROLLENBILDER UND STRESS AM INTERNATIONALEN FRAUENTAG: WIE ERWARTUNGEN DIE PSYCHISCHE GESUNDHEIT VON FRAUEN BEEINFLUSSEN

Der Internationale Frauentag am achten März ist nicht nur ein Anlass die Errungenschaften von Frauen zu feiern, sondern auch eine Gelegenheit, über die Herausforderungen nachzudenken, mit denen sie konfrontiert sind – insbesondere in Bezug auf ihre psychische Gesundheit. Geschlechtsspezifische Rollenbilder und gesellschaftliche Erwartungen prägen das Leben von Frauen in einem Ausmass, das oft unterschätzt wird. Im Folgenden beleuchten wir, wie diese Erwartungen Stress und Burnout bei Frauen fördern und welche Ansätze helfen können, diesen Kreislauf zu durchbrechen.

Zwischen Tradition und Moderne: Die Unsichtbare Last der Erwartungen

Frauen stehen heute in einem Spannungsfeld zwischen traditionellen Rollenbildern und modernen Anforderungen. Einerseits wird von ihnen erwartet fürsorglich, familienorientiert und emotional verfügbar zu sein – Eigenschaften, die oft mit der klassischen Rolle der Mutter, Ehefrau oder Tochter assoziiert werden. Andererseits fordert die moderne Gesellschaft von Frauen beruflich erfolgreich, unabhängig und ambitioniert zu sein. Diese Doppelbelastung führt häufig zu einem inneren Konflikt, der sich in chronischem Stress äussert.
Ein Beispiel: Anna, 34 Jahre alt, ist Mutter von zwei Kindern, arbeitet Vollzeit als Marketingmanagerin und kümmert sich um den Haushalt. Obwohl ihr Partner sie unterstützt, fühlt sie sich oft schuldig, wenn sie nicht alle Erwartungen erfüllen kann – sei es das selbstgebackene Geburtstagsessen für ihre Kinder oder die Überstunden im Büro. Studien zeigen, dass Frauen wie Anna einem erhöhten Risiko für Burnout ausgesetzt sind, da sie sich bemühen in allen Lebensbereichen perfekt zu sein. Die psychische Belastung entsteht nicht nur durch die Menge an Aufgaben, sondern auch durch den inneren Druck gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden.
Die Erwartung immer alles unter einen Hut zu bringen ist ein Mythos, der Frauen in eine Falle lockt. Dieser Perfektionismus, gepaart mit der Angst, als egoistisch oder unfähig wahrgenommen zu werden, wenn sie um Hilfe bitten oder Prioritäten setzen, trägt erheblich zur Stressbelastung bei. In unserer Klinik sehen wir immer wieder Frauen, die sich selbst völlig aufgeben, um den Anforderungen gerecht zu werden – ein Verhalten, das langfristig in Erschöpfung und Depressionen münden kann.

Die Unsichtbare Arbeit: Emotionale und Mentale Belastungen im Alltag

Ein weiterer Aspekt, der die psychische Gesundheit von Frauen beeinflusst, ist die sogenannte emotionale Arbeit. Frauen übernehmen oft die Rolle der emotionalen Stütze in Familien und Beziehungen. Sie sind diejenigen, die Konflikte schlichten, Geburtstage organisieren, die Bedürfnisse anderer antizipieren und dafür sorgen, dass der Alltag reibungslos läuft. Diese Arbeit ist unsichtbar, wird selten anerkannt und dennoch erwartet.
Diese emotionale Arbeit ist nicht nur zeitintensiv, sondern auch mental erschöpfend. Sie erfordert ein hohes Mass an Empathie, Planung und Selbstkontrolle – Fähigkeiten, die Frauen oft als selbstverständlich zugeschrieben werden. Doch genau diese Selbstverständlichkeit führt dazu, dass Frauen ihre eigenen Bedürfnisse hintenanstellen. Wenn dann über längere Zeit die eigenen Grenzen ignoriert werden, besteht ein erhöhtes Risiko Angststörungen und Burnout zu entwickeln.
Ein weiteres Problem ist die gesellschaftliche Tendenz, Frauen für das Wohlergehen anderer verantwortlich zu machen. Wenn ein Kind in der Schule Probleme hat, wird oft die Mutter hinterfragt, wenn ein älteres Familienmitglied Pflege benötigt, wird erwartet, dass die Tochter einspringt. Diese Erwartungen schaffen nicht nur einen enormen Druck, sondern führen auch zu Schuldgefühlen, wenn Frauen diesen Ansprüchen nicht gerecht werden können. Schuldgefühle wiederum sind ein zentraler Faktor bei der Entstehung von Stress und psychischen Erkrankungen.

Der Preis des Perfektionismus: Wie Gesellschaftliche Normen Burnout fördern

Ein zentraler Treiber von Stress und Burnout bei Frauen ist der Perfektionismus, der durch geschlechtsspezifische Erwartungen verstärkt wird. Frauen werden oft dazu erzogen nach Perfektion zu streben – sei es in ihrem Aussehen, ihrer Karriere oder ihrer Rolle als Mutter. Soziale Medien und populäre Kultur verstärken diesen Druck zusätzlich, indem sie unrealistische Ideale vermitteln: die erfolgreiche Geschäftsfrau, die gleichzeitig eine makellose Mutter ist und dabei aussieht wie ein Model.
Dieser Perfektionismus hat direkte Auswirkungen auf die psychische Gesundheit. Frauen, die das Gefühl haben diesen Idealen nicht zu entsprechen, entwickeln häufig ein geringes Selbstwertgefühl und Selbstzweifel. Der ständige Vergleich mit anderen – oft durch die verzerrte Linse von Instagram und Co. – verstärkt diese negativen Gefühle.
Burnout entsteht oft dann, wenn Frauen keine Möglichkeit sehen diesen Erwartungen zu entkommen. Sie fühlen sich gefangen in einem Hamsterrad aus Verpflichtungen und Selbstkritik. Die Symptome – chronische Erschöpfung, Schlafstörungen, Reizbarkeit und das Gefühl der inneren Leere – werden oft lange ignoriert, weil Frauen gelernt haben ihre eigenen Bedürfnisse hintanzustellen. Doch genau hier liegt der Schlüssel zur Veränderung: in der Fähigkeit, Nein zu sagen, Grenzen zu setzen und Hilfe anzunehmen.

Wege aus der Falle: Ansätze für eine gesündere Balance

Die gute Nachricht ist, dass es Wege gibt den Kreislauf aus Stress und Burnout zu durchbrechen. Der erste Schritt ist das Bewusstsein: Frauen müssen erkennen, dass die Erwartungen, denen sie ausgesetzt sind, nicht naturgegeben, sondern gesellschaftlich konstruiert sind. Sie dürfen sich erlauben unvollkommen zu sein und ihre eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen.
1. Grenzen setzen: Lernen Nein zu sagen, ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, um Überforderung zu vermeiden. Das bedeutet nicht, jede Erwartung erfüllen zu müssen – sei es im Beruf, in der Familie oder im Freundeskreis. Frauen sollten sich fragen: „Was ist wirklich wichtig für mich?“ und ihre Energie entsprechend einteilen.

2. Unterstützung suchen: Niemand muss alles allein schaffen. Ob es darum geht Aufgaben im Haushalt zu delegieren, berufliche Unterstützung zu suchen oder professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen – Unterstützung anzunehmen ist ein Zeichen von Stärke, nicht von Schwäche. In unserer Klinik begleiten wir Frauen, die lernen möchten besser mit Stress umzugehen und ihre Ressourcen zu schonen.

3. Selbstmitgefühl entwickeln: Anstatt sich selbst für vermeintliche Fehler zu kritisieren, sollten Frauen lernen sich selbst mit derselben Nachsicht zu behandeln, die sie anderen entgegenbringen. Selbstmitgefühl bedeutet sich zu erlauben Fehler zu machen und nicht perfekt zu sein.

4. Gesellschaftliche Veränderung fördern: Auf individueller Ebene können Frauen viel tun, um ihre psychische Gesundheit zu schützen. Doch langfristig braucht es auch einen gesellschaftlichen Wandel. Geschlechtsspezifische Erwartungen müssen hinterfragt und aufgebrochen werden – durch offene Gespräche, politische Massnahmen und eine Kultur, die Vielfalt und Authentizität feiert statt Einheitsideale.

Ein Aufruf zum Wandel: Psychische Gesundheit priorisieren

Der Internationale Frauentag erinnert uns daran, dass Frauen nicht nur für ihre Errungenschaften gefeiert werden sollten, sondern auch für ihre Stärke im Umgang mit den Herausforderungen, die ihnen auferlegt werden. Geschlechtsspezifische Rollenbilder und Erwartungen haben einen tiefgreifenden Einfluss auf die psychische Gesundheit von Frauen – ein Einfluss, der nicht länger ignoriert werden darf.
In unserer Klinik setzen wir uns dafür ein, Frauen dabei zu unterstützen aus diesem Kreislauf auszubrechen und ein Leben zu führen, das ihren eigenen Bedürfnissen und Werten entspricht. Wir laden alle ein, sich diesem Wandel anzuschliessen – für sich selbst, für ihre Töchter, Schwestern und Freundinnen. Denn psychische Gesundheit ist kein Luxus, sondern ein Grundrecht.
Lassen Sie uns den internationalen Frauentag nutzen, um nicht nur zu feiern, sondern auch zu reflektieren und zu handeln. Für eine Welt, in der Frauen frei von überhöhten Erwartungen atmen können – und in der ihre psychische Gesundheit die Aufmerksamkeit erhält, die sie verdient.

Quellenangaben
  • Adli, M. & Hautzinger, M. (2022). Praxishandbuch Depression: Ursachen – Diagnostik – Therapie. Urban & Fischer, München.
  • Wimmer-Puchinger, B., Gutierrez-Lobos, K. & Riecher-Rössler, A. (2016). Irrsinnig weiblich – Psychische Krisen im Frauenleben: Hilfestellung für die Praxis. Springer, Berlin Heidelberg.

Kategorien: Clinicum Alpinum Stress

Verena Klein
Autor:in Verena Klein
Das CLINICUM ALPINUM ist spezialisiert auf die Behandlung von Depressionen und affektiven Erkrankungen. Mit unserem Blog möchten wir über psychische Erkrankungen aufklären, über die Klinik und die Therapien informieren und einen Beitrag zur Entstigmatisierung leisten.